Abdallah Al-Frangi Dankrede - Abdallah Frangi

Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis

Abdallah Frangi
Berater von Präsident Mahmud Abbas für internationale Angelegenheiten

Dankrede anlässlich der Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises am 15. November 2013

Prof. Dr. Primor und ich, wir beide stehen heute hier und bekommen den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis verliehen. Einen Preis für einen Frieden, den es noch gar nicht gibt. Aber er wird kommen, davon bin ich fest überzeugt.

Ich bin in Beersheva, dem damaligen Palästina geboren und mit neun Geschwistern in einer traditionell religiösen Beduinenfamilie aufgewachsen. Um uns herum gab es nur Felder, Plan-tagen und Weiden. Wir lebten einfach, aber in Freiheit und ich kann wirklich sagen, es war für mich als Kind ein Paradies.

Das alles änderte sich 1948, als die Vertreibung der Palästinenser mit Gewalt und Terror begann. Das betraf 800.000 Menschen, auch meine Familie. Innerhalb weniger Monate brach eine ganze Welt für uns zusammen. Wir mussten unser Land verlassen und landeten, genau wie viele andere Palästinenser, im Flüchtlingslager im Gazastreifen. Weitere Flüchtlingslager gab es in Syrien, Libanon und Jordanien. Dies war für uns Palästinenser eine Katastrophe, die wir „Nakba“ nennen.

Gaza war eine neue Welt für mich. Ein großes Flüchtlingslager in dem alle Gesellschaftsschichten vertreten waren, die durch die schwierige Situation miteinander verschmolzen. Wir standen alle vor dem Nichts und waren auf die Hilfe der UNRWA angewiesen. Damit endete meine Kindheit. In dieser Atmosphäre bin ich aufgewachsen, so wurde ich geprägt und mein politisches Interesse geweckt.

Als ich am 28. 11. 1962 nach Deutschland kam, wollte ich unbedingt Medizin studieren und war entschlossen, als Arzt in meine Heimat zurückzukehren. Aber es kam ganz anders. Hier in Deutschland hat mich die Politik eingeholt. So fern von der Heimat, in einem so gastfreundlichen, freien und demokratischen Land, konnte ich mich frei äußern, gedanklich austauschen und politisch entfalten.

In Deutschland wurde ich von der Studentenbewegung der 60er Jahre geprägt. Engagierte junge Menschen, die sich für eine gerechte Gesellschaft, für Freiheit und gegen Krieg einsetzten. Ich war beeindruckt, nahm an vielen Diskussionen, auch mit jüdischen Kommilitonen, teil und habe viel dazu gelernt.

So kam es, dass ich mich zum ersten Mal mit der Geschichte der Juden, dem Nationalsozialismus befasst habe. Ich habe gespürt, dass auch den Juden unendliches Leid wiederfahren ist, dass viele durch den Holocaust, der in Europa stattfand, verfolgt, vertrieben und heimatlos wurden.
Umso weniger konnte ich nachvollziehen, dass die Menschen, die so sehr gelitten haben, uns das Land wegnahmen und bis heute besetzt halten. Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass es Tausende von Juden und Israelis waren, die uns schon früh in unserem Anliegen unterstützt haben.

Stellvertretend für alle nenne ich: Erich Fried, Eli Lobel, Uri Avneri, Amnon Kabeliouk und Felicia Langer. Diese Unterstützung war und ist sehr wichtig für uns. Deshalb werden diese Namen immer eine große Bedeutung für mich haben.

Eine garvierende politische Veränderung fand nach der Niederlage der arabischen Armeen 1967 statt. Uns Palästinensern wurde klar, dass wir unser Schicksal nun in die eigenen Hände nehmen müssen. Wir sahen uns als Fatah, unter Führung von Yasser Arafat, zum Handeln verpflichtet. Wir haben Widerstand geleistet und die Führung der PLO 1969 übernommen.
So haben wir die neu gestaltete PLO für alle palästinensischen Parteien und politischen Strömungen geöffnet und einen demokratischen Prozess innerhalb der Institutionen eingeleitet. Nun hatte die PLO eine neue Führung.

Damit begann die historische Wende: In einem Zehn-Punkte-Programm beschloss 1974 der palästinensische Nationalrat mit überwältigender Mehrheit in Kairo, eine staatliche palästinensische Autorität, auf jedem Teil Palästinas zu errichten, das von Israel geräumt würde.
Hier war eine deutliche Bereitschaft der PLO für eine politische Lösung zu erkennen und aus diesem Grund wurde die PLO weltweit als einzig legitime Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt.

Es ist mir wichtig zu verdeutlichen, dass sich die PLO, unter Führung von Yasser Arafat, von einer Befreiungsorganisation zu einer politisch international anerkannten Kraft entwickelt hat. Diese Entwicklung haben meine Kollegen, die PLO Vertreter damals in Europa, mitgestaltet und mitgetragen. Hierbei fanden wir Unterstützung bei wichtigen Politikern, wie zum Beispiel: Hans-Jürgen Wischnewski, Willi Brandt, Bruno Kreisky und Olav Palme.

Als PLO Vertreter in Europa haben wir uns schon früh öffentlich für die Zweistaaten Lösung ausgesprochen. Natürlich haben wir die Unterstützung unserer Führung gehabt, die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig, da mehr als 95 Prozent der Palästinenser, der Araber aber auch der Israelis diese Lösung abgelehnt haben.
Das war der Grund, warum viele meiner Kollegen von 1972 bis 1983 kaltblütig ermordet wurden.

Es waren:

  • Der PLO Vertreter in Rom Wael Zueter
  • Der PLO Vertreter in Paris Mahmud Hamschari
  • Der PLO Vertreter in London Said Hamami
  • Der PLO Vertreter in Paris EZ-Eddin Kalak
  • Der PLO Vertreter in Brüssel Naim Khader
  • Sowie der PLO Vertreter in der Sozialistischen Internationale Issam Sartawi in Albufera (Portugal).



Ich persönlich habe im Oktober 1972 in Algier ein Attentat durch eine Briefbombe mit schweren Verletzungen überlebt, während mein Freund und Kollege Ahmed Wafi dabei alle Finger und das Augenlicht verloren hat. Das war der Preis, den wir für die Anerkennung der PLO in Europa bezahlt haben.

Ich fasse zusammen, ohne auf die Kriege und Auseinandersetzungen einzugehen: Das Osloer Abkommen, das durch die geheime Vermittlung des norwegischen Außenministers Jorgen Holst zustande kam, wurde am 13.September 1993 zwischen der Regierung Israel, vertreten durch Rabin und Peres und der PLO, vertreten durch Arafat und Abbas unterschrieben. Das war der Durchbruch: Beide Parteien, Israel und die PLO, erkennen sich gegenseitig an und streben nach einer friedlichen Koexistenz. In einem Stufenplan sollte der Staat Palästina innerhalb von fünf Jahren auf weniger als ein Viertel des historischen Palästina entstehen. Damit wurden viele Hoffnungen auf palästinensischer und israelischer Seite geweckt, die leider mit der Ermordung von Rabin 1995 zunichte gemacht wurden.
Denn alle Ministerpräsidenten, außer Schimon Peres und Ehud Olmert, die nach Rabin kamen, verfolgten ein einziges Ziel: Alle Ansätze, einen Staat Palästina entstehen zu lassen, im Keim zu ersticken. Für Benjamin Netanjahu, Ehud Barak und Ariel Scharon war das Osloer Abkommen nur noch ein Aushängeschild. Und für uns Palästinenser kam es noch schlimmer:

Denn aus den letzten Wahlen in Israel, trat an der Stelle der politischen Mitte, eine kraftvolle Rechte hervor. Das heißt, die national religiösen Kräfte in Israel haben es geschafft, als neue Führungselite, die Politik des Landes zu bestimmen. Ihr wichtigstes Ziel ist: Mehr Kontrolle über das Westjordanland und die Verhinderung der Zweistaaten Lösung.

Fakt ist:

Der Siedlungsbau wurde intensiviert, die Palästinenser verdrängt, so dass inzwischen 350.000 Siedler in der Westbank und 200.000 in Ostjerusalem leben. In diesem Zusammenhang halte ich fest: Dieser Siedlungsbau ist illegal und völkerrechtswidrig.
Und trotzdem glaube ich weiterhin: Der Friede hat eine Chance. Denn in der letzten Erklärung des Nahost-Quartetts vom 30. Juli 2012 sind die Ziele festgelegt:

Ein Ende des Konflikts, ein dauerhafter Friede, Sicherheit für Israelis und Palästinenser und die Zweistaaten Lösung.

Und hier besteht ein seltener Konsens der Weltgemeinschaft, getragen von Amerikanern, Europäern, Russen und Chinesen.
Es ist Zeit für eine überzeugende Alternative. Durch die Vermittlung des Sonderbeauftragten Außenminister John Kerry, sitzen israelische und palästinensische Vertreter wieder an einem Tisch, mit dem Bestreben, ein Abkommen zu erzielen.

Auch wenn es schwer fällt, an einen Durchbruch zu glauben, so bleibt doch festzuhalten, ein Misserfolg, ein Scheitern darf und wird es nicht geben: Tatenlosigkeit kann sich die Weltgemeinschaft nicht mehr leisten. Sogar die Europäer haben die Zusammenarbeit mit Israel neu definiert und eine neue Förderleitlinie verabschiedet. Somit unterstützt die Europäische Union das Völkerrecht, indem es die Grenzen von 1967 als Basis für die Zweistaaten Lösung anerkannt hat.

Angesichts der Veränderungen im Nahen Osten, zeigt auch der amerikanische Präsident Barak Obama mehr Engagement. Und hier möchte ich betonen, dass die Hauptverantwortung für eine Lösung des Konflikts, bei den USA liegt. Dieser Verantwortung muss Präsident Obama gerecht werden. Nur so hat er den Friedensnobelpreis, der ihm kurz nach Amtseinführung verliehen wurde, wirklich verdient.

Mein ganzes Leben habe ich mich für die Freiheit und die Unabhängigkeit meines Volkes eingesetzt. Eine gerechte und friedliche Lösung war immer mein Hauptanliegen und wird es auch bleiben. Ein gerechter dauerhafter Friede, ein Staat Palästina, neben dem Staat Israel, in dem Beide in Frieden, Freiheit, Sicherheit und Würde als Nachbarn leben. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen. Dies bin ich meiner Familie, meinen ermordeten Kollegen und auch den vielen Menschen, die ihr Leben verloren haben, schuldig.

Es erfüllt mich mit Stolz und Dankbarkeit, diesen Preis, stellvertretend für das palästinensische Volk, entgegennehmen zu dürfen. Besonders in dieser historisch wichtigen Stadt Osnabrück, in der der Westfälische Frieden geschlossen und damit der Dreißigjährige Krieg beendet wurde. Dies sage ich auch mit dem Wissen, um den überzeugten Humanisten Erich-Maria-Remarque, dessen Credo es war, sich gegen Krieg, für Frieden und Freiheit einzusetzen.

Liebe Jury, ich bin Ihnen von Herzen dankbar für diese Auszeichnung.

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